Gericht bestätigt Bedeutung der Förderschulen
Hamburg, 23. Januar 2015 – „Inklusion“: Schulsenator Rabe verletzt UN-
Behindertenrechts-Konvention – Gericht bestätigt Bedeutung der Förderschulen
Die am Dienstag veröffentlichte aktuelle Entscheidung des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts bestätigt indirekt, dass das seit 2012 von Schulsenator Ties Rabe in
Hamburg durchgesetzte „Inklusions“-Konzept nachhaltig gegen die UN-
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verstößt:
Mit der Durchsetzung seiner Senatsdrucksache Drs. 20/3641 im Jahr 2012 hat sich Senator
Rabe dafür entschieden, der Mehrheit der Hamburger Schülerinnen und Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf das Recht auf individuelle sonderpädagogische
Förderung durch Entzug der individuellen Förderressourcen vorzuenthalten. Schülerinnen und
Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen und/oder Sprache
und/oder emotionale und soziale Entwicklung (von der Behörde gerne sachwidrig als „LSE“
zusammengefasst, obwohl es sich um unterschiedliche Förderbedarfe bzw. Behinderungen
handelt) erhalten seither, wenn sie in den allgemeinen Schulen angemeldet werden, keine
individuellen Förderressourcen mehr. Stattdessen verteilt Senator Rabe diese Mittel nach dem
Gießkannenprinzip als sog. ‚systemische Ressource‘ auf alle Hamburger Schulen. Dabei hat
sich Senator Rabe, wie erst vor zwei Wochen herauskam, selbst bei dem Verteilungsschlüssel
vertan. Denn statt des seit 2012 pauschal kalkulierten Anteils von nur 4% Kindern und
Jugendlichen mit sonderpädagogischen Förderbedarf haben im Herbst behördlich bestellte
Gutachter allein in den vierten Klassen einen um 65% höheren Förderbedarf (6,6% statt 4%)
festgestellt.
Die UN-BRK fordert aber in Artikel 7 Absatz 2 ausdrücklich, dass sich die
sonderpädagogische Förderung am individuellen Kindeswohl auszurichten hat. Das hat auch
das höchste niedersächsische Verwaltungsgericht in einer am Dienstag veröffentlichten
Entscheidung (OVG Lüneburg, Beschluss v. 7.8.2014, Az.: 2 ME 272/14) gefordert. Das Gericht
hat ausdrücklich betont, dass nach Artikel 7 Abs. 2 UN-BRK und Artikel 3 der UN-Konvention
über die Rechte des Kindes das Kindeswohl des einzelnen Kindes berücksichtigt werden muss
und pauschalisierende Betrachtungen ganzer Schulsysteme nach der UN-BRK fehl am Platz
sind.
OVG Lüneburg: Beschluss v. 7.8.2014, Az.: 2 ME 272/14 (Anspruch auf Zuweisung zur
Förderschule Lernen)
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWR
E150000144&st=null&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint
Das Gericht wörtlich mit Blick auf die politische Idee der „Inklusion“:
„Im Fokus des Umsetzungsprozesses hat K das Wohl des einzelnen Kindes und seine
Förderung zu stehen, wobei die Förderung allerdings den bislang erreichten Standard der
Förderschulpädagogik nicht unterschreiten darf.“ (Unterstreichung WWL)Der im Verfahren beteiligten Behörde, deren Vorgehen – ein Kind für „inklusiven“ Unterricht
einer allgemeinen Grundschule statt einer Förderschule zuzuweisen – mit dem Vorgehen der
Hamburger Schulbehörde zu vergleichen ist, hat das Gericht sodann vorgeworfen:
„Die Antragsgegnerin[Behörde] kann daher nicht einerseits auf eine (grundsätzlich)
vorhandene inklusive Beschulungsmöglichkeit an der Grundschule verweisen, obgleich die
Grundschule diese Aufgabe bezogen auf die individuellen Bedürfnisse des K [Kindes]
ersichtlich nicht ohne eine (ausdrücklich nicht zu erwartende) Zuweisung weiterer
sonderpädagogischer (Lehr-)Kräfte erfüllen kann, andererseits aber eine Zuweisung in die K
Förderschule Lernen K verweigern.“
Die in der Entscheidung kurz darauf folgende Mahnung mag sodann auch Schulsenator Rabe
als verfassungsrechtlich begründete Mahnung verstehen, soweit es um seine seit 2012
eingeschlagene Strategie geht, die Sonder- und Förderschulen in Hamburg durch Abordnung
von Sonderpädagogen an allgemeine Schulen, Zusammenlegung und Aufgabe von Standorten,
Umstellung von Schulen in sog. „Regionale Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ)“
auszutrocknen und langfristig möglicherweise abschaffen zu wollen:
„In einem etwaigen Hauptsacheverfahren wäre daher die Frage aufzuwerfen, ob der
sukzessive Fortfall der Primarstufe der Förderschule Lernen K bei gleichzeitiger
unzureichender Ausstattung der inklusiven Grundschule verfassungsrechtlichen
Anforderungen standhält.“
Fest steht: Die allgemeinen Schulen in Hamburg sind auf Grund der unzureichenden
Mittelzuweisung von dem hohen Niveau der sonderpädagogischen Förderung in den Sonder-
und Förderschulen meilenweit entfernt. Das weiß auch Schulsenator Rabe, der auf diesen
Vorwurf angesprochen regelmäßig nur auf die Gesamtausgaben der Hamburger Schulbehörde
im Bundesvergleich hinweist. Auf Grund der unterschiedlichen sonderpädagogischen
Förderbedarfe der vielen Tausend einzelnen betroffenen Schülerinnen und Schüler und der
geringen Zahl und unterschiedlichen Ausbildung der Sonderpädagogen, die an den
allgemeinen Schulen für die Förderung zur Verfügung stehen, ist es heute im Wesentlichen
dem Zufall überlassen, ob ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf überhaupt und
wenn ja, wieviel individuelle sonderpädagogische Förderung pro Woche er erhält. Mit dem
individuellen Kindeswohl hat die Hamburger Praxis der Inklusion daher nichts zu tun. Diese
„Inklusions“-Praxis stellt schlicht eine vorsätzliche Verletzung der UN-BRK dar.
Unter dieser Verletzung der UN-Behindertenrechtskonvention leiden nicht nur die betroffenen
Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, sondern alle Schülerinnen
und Schüler in den betroffenen Klassen. Denn gerade bei den vielen Schülerinnen und
Schülern mit Förderbedarf im Bereich emotionale und soziale Entwicklung reicht oft ein
einzelner Schüler, um eine ganze Klasse ‚aufzumischen‘ und sachgerechten Unterricht und
gutes Lernen für alle Kinder in der Klasse zu erschweren oder unmöglich zu machen. Die
Lehrkräfte sind im Regelfall mit dieser Situation überfordert, da sie sich nicht gleichzeitig um
einen schreienden oder gewalttätigen Schüler einerseits und um guten Fachunterricht für die
übrigen Kinder andererseits kümmern können. Das gesamte ‚Inklusions‘-Konzept von Senator
Rabe gehört deshalb dringend auf den Prüfstand – im Interesse des Kindeswohls aller
Schülerinnen und Schüler unserer Stadt.
Gleichzeitig macht die jetzt veröffentlichte Gerichtsentscheidung den betroffenen Eltern Mut.
Denn mit dieser Entscheidung eines der höchsten deutschen Gerichte des
Verwaltungsrechtsweges können Eltern künftig leichter auch in Hamburg gegen die
behördliche „Inklusions“-Praxis bei der Schulzuweisung vorgehen.
Dieser Beitrag als PDF: 2015-03-05 Gericht bestatigt Bedeutung der Forderschulen